Tina Teufel / Der Neoliberalismus kommt aus Wien" / Bildrecht 01
Manfred Grübl ist ein vieltalentierter Künstler. Die Liste der von ihm geschaffenen Werke umfasst eine beeindruckende Bandbreite an Medien und Ausdrucksformen, die von Foto und Video über Skulptur, Installation und Performance bis hin zur Sound Art führen. Raum spielt in vielen seiner Werke eine große Rolle: institutioneller ebenso wie öffentlicher Raum, gesellschafts- wie wirtschafts-politischer Raum, aber auch ein emotionaler Raum. Mit Interaktion sowie Sprache und Kommunikation fordert er die (immer noch) an passives Betrachten gewohnten Besucher*innen seiner Ausstellungen, Aktionen oder Werke im öffentlichen Raum durchaus vor Herausforderungen. Manfred Grübl ist auch ein versierter, belesener Beobachter seiner Zeit, der pointiert und humorvoll Kritik an gesellschaftlichen Systemen und Hierarchien übt.
Titelgebend für die Ausstellung, die wir heute eröffnen, ist die als sechs Meter langes Fries angelegte Bildersammlung Der Neoliberalismus kommt aus Wien. Friese gibt es seit der Antike und finden sich häufig an Wänden, Fassaden oder anderen architektonischen Elementen. Sie dienen oft dazu, Geschichten zu erzählen oder historische Ereignisse darzustellen. Manfred Grübls Bilderfries ist jedoch nicht als durchgängig von links nach rechts lesbare Geschichte angelegt. Die in Bibliotheken und Archiven recherchierten Bilder, die sich auf die Geschichte des Neoliberalismus beziehen, fügen sich in einer vom Künstler festgelegten Bedeutungshöhe in 22 Teilen an- und ineinander. Sie zeigen unter anderem die aus Wien stammenden Vertreter der Österreichischen Schule des Neoliberalismus Ludwig Heinrich von Mises und seinen Mitarbeiter Friedrich August von Hayek, Coverseiten ihrer wichtigsten Publikationen, die bekanntesten politischen Player, die den Neoliberalismus für sich ausgenutzt haben, wie Margret Thatcher, ehemalige britische Premierministerin mit dem Beinamen „Eiserne Lady“ und Ronald Reagan, der 40. Präsident der USA. Proteste gegen den Neoliberalismus sind sinnbildlich durch ein Foto aus Chile präsent, wo unter der Diktatur von Augusto Pinochet ein von den Chicago Boys ausgeführtes „Versuchsprojekt“ verdeutlichte, wie sehr ein neoliberales Wirtschaftssystem von einem antidemokratischen politischen System profitiert. Mit dem Fries kritisiert Grübl das System des Neoliberalismus, das ohne regulierende Staatsmaßnahmen zu einer Privilegierung weniger Reicher, großer Konzerne und Kartelle auf Kosten der großen Mehrheit führt. Im Bilderreigen zitiert sich der Künstler selbst, indem er das Foto jenes, auf sein Kanonenrohr gekippten Panzers inkludiert, der für das 2025 entstandene Wandobjekt Decision Maker Pate gestanden hatte: Das aus Nadelstreifstoff in Patchworktechnik genähte Objekt verweist darauf, dass die Entscheidungen über Krieg oder Frieden fast immer von Personen in Nadelstreif gefällt wurden und nach wie vor werden. Die in Der Neoliberalismus kommt aus Wien dargestellten Personen gehören ebenso zu den Entscheidungsträger*innen, die über Krieg und Frieden bestimmen, wie viele andere Nadelstreifträger*innen, die sich etwa als Lobbyist*innen in das Weltgeschehen einbringen. Die Wandskulptur mahnt daran, dass Kriege am Ende niemandem außer der Rüstungsindustrie dienen und fordert zur Reflexion auf. In Zeiten, in denen Rüstungsbudgets wieder stark aufgestockt werden, erhält Decision Maker erschreckende Aktualität.
Wie sehr sich Macht in Kleidung ausdrückt, zeigt auch The Power of Clothing. Auch hier arbeitet Grübl mit Nadelstreif und verwendet diesen ebenso als Bildträger wie als Rahmen. Das Hexagon, das aus dem Nadelstreifmuster entsteht, lässt die Anmutung eines zentralperspektivischen Raumes entstehen, in dessen Fluchtpunkt sich der Knoten einer applizierten Krawatte wiederfindet. Ihr Muster wiederholt das Konterfei von Friedrich August von Hayek. Manfred Grübl verweist in dem Wandobjekt auf den Einfluss des schottischen Aufklärers Adam Smith und seiner Publikation An Inquiry into the Nature and Causes of Wealth of Nations aus dem Jahr 1776, jenem Jahr also, in dem sich die USA von der britischen Krone unabhängig erklärt hatten. Die bereits erwähnten Mises und Hayek sowie auch Milton Friedman, der als intellektueller Anführer der Chicago School of Economics gilt, diente das Buch als Quelle für ihre Entwicklung des Neoliberalismus. Die so genannte Adam-Smith-Krawatte wurde zu einem Symbol von Selbstbereicherungsstrategen und Pseudoliberalen, die Liberalismus mit schlauem, asozialem Egoismus gleichsetzen. Smith selbst hatte niemals eine Adam-Smith-Krawatte getragen.
Inhaltlich ist hier der Konnex zur Verbindung von ARBEIT GELD NATUR gegeben, denn Adam Smiths Gedankengut war die Auflösung der Natur als wichtigste Ressource und Quelle von Wert zu verdanken. Darauf bezog sich Karl Polanyi, ebenfalls geborener Wiener, der in seinen Schriften zu Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die zum Scheitern verurteilte Idee des sich selbst regulierenden Marktes dafür kritisierte, den Menschen auszubeuten und die Natur zu zerstören sowie in der Folge auch die Demokratie. Nicht die Interessen der Wirtschaft sollen, so Polanyi in seiner bekanntesten Publikation The Great Transformation aus dem Jahr 1944, die Gesellschaft bestimmen, sondern die Menschen sollen die Wirtschaft zu ihren Zwecken gebrauchen und die Warenfiktion an die Wirtschaft anpassen. Das Porträt Polanyis tritt hinter den in Versalien geschriebenen Wörtern Arbeit, Geld und Natur in den Hintergrund, scheint in den Buchstaben aber deutlich durch. Das Werk überlagert den Autor.
Wie wenig im Grunde die Politiker*innen zu einer menschlichen und klimafreundlichen Wirtschaftsrealität beitragen steht im Zentrum der Videoarbeit Die Politik hat nichts zu sagen aus dem Jahr 2025. Das Video zeigt Reden von Politiker*innen fast aller 193 Staaten der Vereinten Nationen ohne Ton. Ablesbar sind Mimik und Gestik und Requisiten wie Füllfedern, Handtaschen, Flaggen, Bilder und Bücherregale, mit denen sich die Politiker*innen präsentieren, die Sprache jedoch, die in politischen Reden eine große Rolle spielt und in Aussagekraft und Intonation wirkt, ist uns hier verwehrt. Evident ist im Video das Ungleichgewicht der Geschlechter und des Alters. Inszenierungen, Narzissmus aber auch Bescheidenheit und vieles mehr wird in einer möglichst wertneutralen Form aneinander gereiht und vorgeführt. Doch wie oft fühlen wir uns durch die politische Sprache irregeführt, nehmen sie als austauschbares Gut wahr und stellen fest, dass ihre Aussagekraft keinen Wert mehr hat. Grübl unterstreicht, in Anlehnung an die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury, die Sprache in ihrem Fehlen als wichtiges Regulierungsinstrument eines demokratischen Rechtsstaats.
Interessant ist, dass sowohl Adam Smith als auch Mises, Hayek und Polanyi in historisch aufgeladenen Zeiten aktiv waren, denen große gesellschaftliche Umschwünge folgten, die ihre Theorien befeuerten und festigten. In so einer Schwellenzeit befinden wir uns auch heute wieder und so kann Manfred Grübls Werkauswahl in einer Zeit, in der nicht nur Demokratien auf der Kippe stehen, sondern auch Mensch und Natur zum Zwecke einer Warenfiktion degradiert und Menschenrechte und Naturschutz mit Füßen getreten werden, als Mahnung zum Umdenken gelesen werden. Er regt mit seinen Arbeiten dazu an, sich nicht in apathische Ignoranz und damit in eine passive Leidensposition zu begeben und sich damit auch zu einem gewissen Grad aus der eigenen Verantwortung zu nehmen, sondern genau hinzuschauen, die Strukturen zu kennen, zu analysieren und fundierte Kritik zu üben, um an einem neuen System von Mitbestimmung